Emanuel Swedenborg und die Theosophie


0. Einleitung

Emanuel Swedenborg (1688-1772) war weit entfernt davon, der Begründer einer religiösen Gemeinschaft oder Haupt einer Sekte sein zu wollen. Swedenborg verabscheute den Stil von kirchlichen und sektiererischen Gruppen, dich gegenseitig zu verteufeln, deshalb beschränkte er sich auf literarische Verkündigung statt zu predigen. Dennoch, und entgegen seiner Absicht haben seine Werke diese Begründungen entschieden beeinflußt. Besonders die Schrift: Doctrina Novae Hierosolymae de Domino (1758) wurde zum Hauptanlaß der Geheimgesellschaften- und Sektengründungen.

1. Die Entstehung der "Neuen Kirche" (Swedenborgianer)

Schon zu Lebzeiten hatte Swedenborg eine Schar Anhänger, die allerdings noch keine äußere Organisation hatten. Der geschichtliche Beginn der Kirche liegt in England, wo Swedenborg zuletzt lebte und auch verstarb.

Im Jahre 1782 gründete John Clowes, der auch Visionen hatte, eine Gesellschaft, die die Werke Swedenborgs übersetzen, drucken und veröffentlichen sollte. John Clowes wollte jedoch innerhalb der Kirche Swedenborgs Lehren zum Durchbruch verhelfen und versuchte auch später noch, eine Sektenbildung zu verhindern.

Im gleichen Jahr trafen sich bei dem 23jährigen Drucker Robert Hindmarsh einige Männer zum gemeinsamen Studium der Swedenborgschen Werke. Hindmarsh hielt Swedenborg für den »größten unter den lebenden und toten Menschen.« (1) Bereits 1783 entstand aus dieser Gruppe in London die »Theosophische Gesellschaft, gegründet zum Zweck der Verbreitung der himmlischen Lehren des Neuen Jerusalem durch Übersetzen, Drucken und Veröffentlichen der Theologischen Schriften des Emanuel Swedenborg.« (2) Im Jahr 1784 folgte eine ähnliche Gesellschaft in Philadelphia, USA.
Die Londoner "Theosophische Gesellschaft" hielt zuerst wöchentliche Treffen ab, die mehr literarischen Charakter hatten. Unter den Mitgliedern dieser Gesellschaft befindet sich auch ein gewisser Benedikt Chastanier, ein französischer Wundarzt.

Im Mai 1787 entstand aus dieser Gesellschaft aber die "New Church". Robert Hindmarsh wollte, daß die Gesellschaft sich auch zu Gebet und Gottesdienst versammelt. Am 31. Juli 1787 wurde sein Vater James Hindmarsh, ein Methodistenprediger von den 16 Mitgliedern zum Sakramentenverwalter gewählt. Fünf der Mitglieder, darunter auch Robert Hindmarsh, ließen sich taufen, zehn empfingen das Abendmahl. Am 27. Januar 1788 wurde in einer angemieteten Kapelle in Great Eastcheap der erste Gottesdienst gehalten.

Am 1. Juni 1788 ließ Robert Hindmarsh seinen Vater und einen gewissen Samuel Smith, der auch Geistlicher war, zu Priestern der "Neuen Kirche" weihen. Durch Auflegen der rechten Hand wurden sie von zwölf Mitgliedern, die per Los bestimmt wurden, ordiniert und zu Priestern geweiht. Durch das Los wurde auch Robert Hindmarsh zum Vorsteher dieses Gottesdienstes bestimmt, damit sollte eine direkt auf göttliches Wirken zurückgehende Sukzession in Gang ge-bracht werden (3).

Bereits 1789 bestanden 50 Gemeinden der "New Church", es gab aber auch bereits starke Spannungen in dieser Gemeinschaft: Robert Hindmarsh und fünf weitere Männer wurden von der Kirchenleitung ausgeschlossen. Bei den jährlich stattfindenden Konferenzen forderte R. Hindmarsh jedoch, dass nur die Priesterschaft die Kirche leiten solle. Nachdem er aber erneut abgewiesen wurde, verbündete er sich mit dem Eigentümer der Kapelle, der ihn zum einzigen Mieter machte. Als er dies beim nächsten Treffen verkündete zogen seine Gegner ab, um sich ein neues Quartier zu suchen.

R. Hindmarsh teilte England, Schottland und Wales in 24 Diözesen, schuf eine Hierarchie und verfasste die Richtlinien der "Neuen Kirche" und aus den Texten Swedenborgs eine Art Weiheritual (4).
Im darauffolgenden Jahr war Hindmarsh jedoch gezwungen, die Kapelle zu schließen. Er ging daraufhin einer anderen Arbeit nach. Erst im Jahr 1811 rief ihn William Cowherd zur Arbeit an einer Ausgabe der Swedenborg-Werke, daran arbeitete Hindmarsh bis 1813 mit. Dann wurde er zum Priester des Jerusalem- Tempels in Salford bestimmt, wo er bis zu seinem Ruhestand 1824 wirkte und eine Geschichte der "Neuen Kirche" schrieb. Robert Hindmarsh starb 1835 im Alter von 76 Jahren.

Im Jahr 1871 bestehen die Swedenborgianer aus 58 Gemeinden mit etwa 4100 Mitgliedern und ebensovielen Kindern in den kircheneigenen Schulen, in den Vereinigten Staaten gab es 80 Gemeinden mit insgesamt 6000 Mitgliedern.

2. Die Theosophie

Im Dictionary of Sects... (5) werden die Swedenborgianer als "theosophische Sekte" (6) bezeichnet. Es wird vermutet, daß Swedenborg eventuell die Schrift "Theosophical Transactions" einer gewissen Mrs. Lead ("Philadelphians") (7) gelesen hatte.

Es muss zwar unterschieden werden zwischen der christlichen Theosophie eines Böhme, Oetinger oder Swedenborg und der Theosophie einer Helena Petrovna Blavatsky und einer Annie Besant, aber die Wurzel ist dennoch bei Swedenborg zu finden.

Der Begriff "Theosophie"

Der Begriff "Theosophie" bedeutet soviel wie "Gottesweisheit" oder "Weisheit von Gott", er findet sich schon bei Plato und den Neupythagoräern. Annie Besant schreibt in der Encyclopedia of Religion and Ethics daß damit seit dem 3. Jahrhundert die "Weisheit von Gott im Mysterium" gemeint sei, die im Westen unter dem Namen "Theosophie" bekannt sei (8).

Das LThK (1964) unterscheidet außerchristliche und christliche Theosophie, sie »tritt meist in Zusammenhang mit großen Erschütterungen auf, in Spätzeiten einer Kultur, in großen religiösen Nöten der Menschen, die durch eine allzu rationalistische Theologie im Stich gelassen werden. ... sie findet sich ... bei den Neupythagoräern, in der hermetischen Literatur, im Gnostizismus, in der Kabbala, bei den Bogomilen, den Katharern, den Albigensern, bei den Rosenkreuzern. In der Neuzeit findet sich die Theosophie meist als Reaktion auf die lutherische Orthodoxie: S. Frank, V. Weigel, J. Böhme, E. Swedenborg ... F. v. Baader ... Theosophische Einflüsse finden sich auch bei einigen protestantischen Sekten, bei den Swedenborgianern und bei der Tempelgesellschaft.« (LThK)
Das Kirchenlexikon der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften (9) (1899) bezeichnet Swedenborg und die Swedenborgianer als Theosophen - ebenso aber auch z.B. Meister Eckart.
Das Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaften (Religion in Geschichte und Gegenwart) (1962) sieht keine Verbindung von Swedenborg und Theosophie.

Die "Erleuchteten Theosophen"

England: Eine Gruppe von Illuminaten, die sich "Erleuchtete Theosophen" nannte und von den Illuminaten von Avignon abstammte, die allesamt hochgradige Freimaurer waren, hat ihre geistigen Grundlagen bei Swedenborg und bei dem Berliner Illuminaten und hochgradigem Freimaurer Pernety, der mit Swedenborg befreundet war. Bei den "Erleuchteten Theosophen" taucht denn auch - bereits etwa im Jahr 1781 - der sog. "Swedenborg-Ritus" zum ersten Mal auf. Die "Erleuchteten Theosophen" wurden durch den - oben schon erwähnten - Franzosen Benedikt Chastanier nach England gebracht, es gehörten ihr hauptsächlich französische Emigranten an. Chastanier ließ die Werke Swedenborgs, die bereits ab 1780 vom Lateinischen ins Französische übersetzt wurden in London drucken. Sie erschienen teilweise auch in einer von Chastanier herausgegebenen Zeitschrift namens "Neues Jerusalem". Durch Chastanier gab es in England zwei Richtungen der "Erleuchteten Theosophen", denn neben der 1787 gegründeten "Neuen Kirche" blieb der ältere freimaurerische "Swedenborg-Ritus" in England bestehen. Die höchsten Beamten des "Swedenborg-Ritus" mußten Mitglied in der Swedenborg-Kirche sein. Im 19. Jahrhundert gelangte er dann durch Auswanderer in die Vereinigten Staaten, starb später in England aus, kam jedoch Ende des letzten Jahrhunderts wieder nach England zurück.

Deutschland: In Deutschland bemühte sich Theodor Reuß, den "Swedenborg-Ritus" einzuführen, von John Yarker, dem britischen Großmeister beschaffte er sich 1902 ein Patent zur Ordensgründung. Zusammen mit Heinrich Klein und Dr. Franz Hartmann erhielt er einen Freibrief zur Konstituierung eines Großorients und souveränen Sanktuariums des Ritus für das Deutsche Reich. Die deutschen Logen gaben die Zeitschrift "Oriflamme" heraus, "Organ für die Interessenten der deutschen Hochgrad-Freimaurer, des Swedenborg-Ritus und des Ordens der Rosenkreuzer" Er bestand von 1902-1923 und wurde von Reuß redigiert. Von März 1961 bis Dezember 1974 erschien "Oriflamme" als Mitteilungsblatt der Schweizer Nachfolgeorganisation(en) Ordo Illuminatorum / Ordo Templi Orientis (OTO) / Fraternitas Rosicruciana Antiqua / Ecclesia Gnostica Catholica. Auch der OTO, war um die Jahrhundertwende von Hartmann mitbegründet worden. Zu den Gründungsmitgliedern Reuß, Hartmann und Klein kamen im September 1902 noch Karl Kellner und Rudolf Steiner, der Generalsekretär der TG in Deutschland. Seit 1905 war Steiner auch Hochgradmaurer innerhalb des OTO. Der OTO kann als Mutterorden aller derzeit bestehenden Rosenkreuzerorden gesehen werden.

Der Ritus

Der Ritus wurde in ein bereits bestehendes Freimaurer-System eingegliedert, ideengeschichtlich ist er das Ergebnis einiger Rituale und Hochgradsysteme, hat aber auch andere Systeme und Lehren beeinflußt, z. B. den Schwedischen und den Schottischen Ritus und die Martinisten. Der Ritus besteht aus vier Stufen und zehn Graden:
1. Stufe: Lehrling, Geselle, Meister. (3 Grade)
2. Stufe: "Auserwählter Meister" als Abschluß der Studien von Swedenborg, Böhme, Levi und Saint-Martin.
3. Stufe: "Erleuchteter Lehrling" (5. Grad). "Erleuchteter Geselle" (6. Grad). "Cohen-Meister" (7. Grad).
4. Stufe: "Lehrling vom Rosenkreuz" (8. Grad). "Ritter vom Rosenkreuz" (9. Grad). "Meister Großarchitekt" (10. Grad) (10).
Die Theosophische Gesellschaft

Am 5. Dezember 1783 gründete sich unter Führung von Robert Hindmarsh in London die "Theosophische Gesellschaft", die später in die "New Jerusalem Church", oder kurz "New Church" überging.

Am 17. November 1875 gründete die Russin Helena Petrovna Blavatsky (HPB) zusammen mit dem Amerikaner Henry Steel Olcott in New York eine "Theosophische Gesellschaft". Auf den ersten Blick - und im Einvernehmen mit der theologischen Forschung - unterschieden von der christlich ausgerichteten Theosophie Swedenborgs. Ihre Lehren will HPB aus einem gewissen Buch Dzyan entnommen haben, das die Forschungen aller Adepten und Weisen enthält und im Besitz der Meister der Weisheit in Tibet sein soll. So schreibt sie unter dem Stichwort "Theosophist" in ihrem "Theosophical Glossary": »However accurate and beautiful some of the ideas of Swedenborg, Pernetty, Paschalis, Saint Martin, Marconis, Ragon and Chastanier may have been, they have but little direct influence on society.« (11) Allerdings schreibt HPB in ebendemselben "Theosophical Glossary" auch: »Of all mystics, Swedenborg has certainly influenced "Theosophy" the most.« (12 ) Gleichzeitig spielt sie jedoch seine Leistung herunter. Die "Theosophische Gesellschaft" (TG) siedelte sich dann bald in Adyar/Indien an und gründete in verschiedenen Ländern Tochtergesellschaften.

Die britische TG, war aus einer Rosenkreuzergesellschaft entstanden. Die Rosenkreuzer entstanden vermutlich um das Jahr 1604, erloschen allerdings um ca. 1800. Ein Jahrhundert später wurden sie von Max Heindel, dem Vizepräsident der Adyar-TG-Tochter in Kalifornien, wiederbelebt (13).

Seit 1877 war im britischen Zweig des "Swedenborg-Ritus" ein gewisser William Stainton Moses Mitglied, er war Begründer der London Spiritualist Alliance, und auch Mitglied des Golden Dawn und anderer Geheimgesellschaften. Zum Golden Dawn gehörte auch Aleister Crowley. 1878 tritt Moses der Adyar-TG bei und hält eine enge Verbindung zu HPB.

Dr Franz Hartmann, der Mitbegründer des "Swedenborg-Ritus" in Deutschland, war gleichzeitig auch der Begründer der Adyar-TG-Tochtergesellschaft in Deutschland und auch ein enger Vertrauter von HPB.

3. Schluß

Gegen die Theosophie gibt es eine kirchliche Lehrentscheidung: »Frage: Können Lehren, die man heute theosophisch nennt, mit der katholischen Lehre vereinbart werden? Und ist es daher erlaubt, theosophischen Gesellschaften beizutreten, an ihren Zusammenkünften teilzunehmen und ihre Bücher, Zeitschriften, Zeitungen und Schriften zu lesen? Antwort (vom Papst am 17. Juli bestätigt): Nein in allen (Teilen) (14).

Die christliche Theosophie, die es dennoch gibt, hat einen Grundsatz jedoch nie vergessen: "Und wenn ich alle Erkenntnis hätte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. ... Die Liebe hört niemals auf. ... Erkenntnis vergeht. Denn Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk. ... Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie auch ich durch und durch erkannt worden bin. (1 Korinther 13, 2.8-10.12)

Anmerkungen
1: Vgl. Blunt, 581.
2: Nach White, 599.
3: Vgl. White, 600ff.
4: Vgl. White, 604f.
5: S. Literaturverzeichnis.
6: Vgl. Blunt, 579.
7: Vgl. Blunt, 580.
8: »Every great religion has two parts, an inner and an outer, a spirit and a body, "the knowledge od God" which "is Eternal Life", and its dogmas, rites, and ceremonies. The inner part, "the wisdom of God in a mystery", spoken of by St. Paul as known to "the perfect", is that which has, since the 3rd century, been known in the west as "theosophy". James Hastings (Hrsg), ...
9: Vgl. aaO. 1592ff.
10: nach Frick II, 389.
11: HPB 329. Man achte besonders auf die Namen Pernetty und Chastanier.
12: HPB, 316.
13: Seit 1952 sind die "Rosenkreuzer" wieder in Deutschland ansässig.
14: Acta Ap. Sed. 1919, 317, (DH 3648).